Beitrag zu Intelligenz und Begabung

Samstag, 19. November 2005

Der erste Tag

18.10.2005 - der erste Uni-Tag

Ganz ehrlich – eigentlich fühle ich mich für diese Art von Leben schon ein bisschen zu alt. Immerhin habe ich mittlerweile 37 Jahre auf dem Zettel und arbeite inzwischen in meinem dritten Beruf (nach Redakteurin und PR-Frau bin ich seit kurzem „Aushilfslehrerin für befristete Schwangerschafts-, Elternzeit- bzw. Krankheitsvertretungen“). Ich kann auf acht Umzüge und einige mehr oder minder erfolgreiche Beziehungen zurück blicken. Und: Mein erster Uni-Tag - das war im Herbst 1988 - liegt schon etwas zurück. Ich fürchte, ich habe inzwischen schon einiges meiner ohnehin nie übermäßig vorhanden gewesenen Toleranz eingebüßt.
Und nun verschlägt es mich wieder an die Uni, mein erstes Staatsexamen machen, weil mein Magister-Abschluss, den ich 1997 gemacht habe, leider nicht für ein Referendariat anerkannt wird.
Wie die meisten Frauen meines Alters rede ich mir regelmäßig ein, immer noch einigermaßen auf der Höhe der Zeit (neudeutsch: "cool") zu sein und stelle ebenso regelmäßig fest, dass ich es nicht bin. Und weil die Uni-Welt eben cool ist und ich nicht, fühle ich mich für diese Art von Leben einfach zu alt.

Lektion 1
Aber alles der Reihe nach. Voller Elan stürze ich mich am 18. Oktober 2005 um Schlag 9:30 Uhr in das Abenteuer Studium. Der Ausflug dauert exakt 5 Minuten, bis er schon wieder vorbei ist. „Wegen Erkrankung des Professors fallen alle Seminare und Vorlesungen mindestens bis Mitte Dezember aus – von E-mail-Anfragen bitten wir abzusehen“ steht an der Tür „meines“ BWL-Profs m ersten Stock des „HG“ am Institut für Politik und Wirtschaft. Schade, aber nicht schlimm, denke ich mir, denn zur gleichen Zeit soll ein Seminar für „Erstis“ in der Germanistik stattfinden. Das könnte doch auch ganz spannend für den Einstieg sein. Wo die Veranstaltung laufen soll, weiß ich zwar noch nicht, aber das kann mir sicher das freundliche Asta-Gewächs mit den Rasta-Locken erzählen, der seinen Info-Stand direkt im Eingangsbereich aufgebaut hat.

Lektion 2
In der Schlange wartend lausche ich interessiert, wie der Asta-Mensch einer völlig aufgelösten Neustudentin gerade ihre erste Uni-Lektion erteilt. Sie kann ihren Seminarraum nicht finden und ist den Tränen nahe. „Hey, kein Problem, mach dir keinen Stress. In der ersten Woche ist hier sowieso alles Chaos, du verpasst also nichts.“ Wo der verschwundene Raum sein soll und was die Abkürzungen im Vorlesungsverzeichnis bedeuten, kann er ihr allerdings auch nicht sagen, obwohl er dem Anschein nach vermutlich die Regelstudienzeit bereits überschritten hat. Aber mir kann er dafür tadellos weiterhelfen. „Die Veranstaltung ist oben, aber da brauchst du nicht hingehen, die stehen jetzt schon bis zur Treppe runter.“
Ah ja (?!?).
„Da ist was mit den Anmeldungen schief gelaufen. Irgendwie sind dieses Semester wegen des neuen Bachelor-Studiengangs zu viele Germanisten da.“
Ach so.
Ich merke, wie mein Lächeln langsam immer künstlicher wird. Nun gut, dann geh ich erst mal einen Kaffee trinken. Laut Plan (!) geht die nächste Veranstaltung ja erst um 12 Uhr c.t. los.

Lektion 3
Zu meinen Studentenzeiten hieß die Cafeteria noch KaBu (Kakaobunker) oder Kafete und war eine dunkle, verqualmte Bruchbude. Tapeten gab´s nicht, stattdessen pappten Hunderte Demo-Zettel der Antifa-Initiative, des Lesben- und Schwulenreferates, der Anti-Atomkraft-Bewegung oder anderer politischer Gruppen an den Wänden. In den Freistunden diskutierte man, rauchte oder sang auch mal die „Internationale“.
In diesen 15 Jahren hat sich offenkundig eine Art Kulturrevolution ereignet: Wo dereinst Demo-Aufrufe klebten, prangt heute ein riesiger Flachbildfernseher an trendig rotgestrichenen Wänden. Statt „Brüder zur Freiheit“ leise Lounge-Musik. Keine Diskussionsgruppen. Nur rund zwei Dutzend Studenten, die (gewaschen, gekämmt und rasiert) an wireless Lan-Laptops arbeiten. Am Tresen fragt mich eine gutaussehende Bedienung (ebenfalls gewaschen, gekämmt und rasiert), ob ich den Macchiato gern solo oder mit etwas Aroma hätte. Solo. Zum Mitnehmen oder hier verzehren? Danke, bitte, tschüß.

Lektion 4
Seit meiner Ankunft in der schönen neuen Welt sind glücklicherweise erst zwei Stunden vergangen, es gibt also noch keinen Grund zur Panik. O.K., zwei von drei geplanten Veranstaltungen sind ausgefallen, aber es gibt ja noch eine dritte auf meinem Zettel: „Intelligenz und Begabung“ lautet der vielversprechende Titel meiner ersten Pädagogik-Veranstaltung. Vor dem Audimax, wo Prof. Schmid in einer halben Stunde seinen Auftritt haben soll, herrscht zu meinem Erstaunen gespenstische Leere. Meine Schritte hallen auf dem Industrieparkettboden wider, als ich das große Gebäude durchquere auf der Suche nach nach einem Aushang, irgendeiner Info, irgendeinem Hinweis. Nichts. Hm, warscheinlich bin ich nur einfach etwas zu früh dran. Dann nutze ich eben die Zeit, um mir gegenüber in der Bibliothek einen Benutzer-Ausweis ausstellen zu lassen.

Lektion 5
Wieder eine Schlange vor dem Tresen der Anmeldung. Die Dame hinter dem Tresen wirkt freundlich und kompetent. Na, die wird mir doch sicher weiterhelfen können! Nein, ob die Vorlesung im Audimax stattfindet, wisse sie nicht. Ob ich mal an den Aushängen.... Ja, hab ich.
Eine junge Frau hinter mir schaltet sich in das Gespräch ein: „Du willst zu Prof. Schmid? Bei dem fangen seine Seminare erst Mitte November an.“
Aha.

Genug gelernt

Uni, du hast gewonnen, ich kapituliere und trete den geordneten Rückzug an.
Denke ich zumindest..... Zuhause, im 120 Kilometer entfernten Neumünster, stelle ich fest, dass ich offenkundig irgendwo auf dem Campus meinen neuen Studentenausweis verloren habe!
Verdammt – das war mir ein bisschen zu viel Realität für den ersten Tag....

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